Ein Trauerspiel – Richter ohne biomechanisches Wissen

Andrea Lipp | Ausbildung

Gleich vorweg möchte ich erwähnen, dass dieser Blogartikel keine verallgemeinernde Verurteilung der auf Turnieren tätigen Richter sein soll. Wie in jedem Berufsstand gibt es selbstverständlich auch hier hervorragende Experten, die wissen was sie tun. Dennoch finde ich es erschreckend, dass es Vertreter gibt, bei denen jegliches biomechanisches Wissen fehlt. Wie kann es sein, dass ein Pferd als sich schön bewegend bezeichnet wird und gute Noten bekommt, bei dem lediglich der Kopf unten ist, aber das ganze Pferd von vorne bis hinten verspannt ist? Ein Richter muss erkennen, ob ein Pferd schwingt. Er muss sehen ob die Bewegungsenergie  von hinten nach vorne, vom Schweif bis in das Genick, fließt. Er muss sehen, ob und wo ein Pferd muskuläre Probleme und Verspannungen hat. Er darf nicht nur schauen, ob irgendeine Form stimmt. Es ist ein Armutszeugnis, dass Pferde gut benotet werden, die den Kopf hinter der Senkrechten haben, mit der Hinterhand nach hinten raus laufen, die Lende fest und die Schulter tief haben. Die kurz tretende Hinterhand, die feste Lende und die tiefe Schulter sind das Ergebnis der engen Kopfhaltung sowie des zu kurz gemachten Halses. Dr. med. vet. Gerd Heuschmann hat hierzu hervorragende Bücher verfasst, deren Kenntnis ein Muss für die gesamte Richterschaft sein sollte. Ein Pferd muss durch richtige Dressurarbeit regelrecht im Widerrist wachsen.

Ich bin wirklich jedes Mal geschockt, wenn ich solche Beurteilungen auf Turnieren als Zuschauer erlebe. Richter haben eine so wichtige Funktion, da sie dem Turnierreiter durch ihre Hinweise im Protokoll wertvolle Anregungen für ihre Arbeit zu Hause mitgeben können. Dazu muss aber oben erwähntes biomechanisches Wissen vorhanden sein. Es ist ein Muss, dass die Elemente der Losgelassenheit und des Schwungs erkannt werden.  Ein nicht schwingendes, sich stockend und hölzern bewegendes Pferd, ist niemals korrekt geritten im Sinne der klassischen Dressur. Stockende, hölzerne Bewegungen deuten auf fehlenden Schwung hin. Ein stark auf der Hand liegendes Pferd, mit nicht kauendem Maul und Schlauchgeräuschen ist nicht losgelassen. Kurt Albrecht von Ziegner hat uns Ausbildern mal auf einer Fortbildung gesagt, dass er die Losgelassenheit sogar an den Beginn der Skala der Dressurausbildung setzen würde. Ein physisch und psychisch entspanntes Pferd ist die Basis für eine erfolgreiche Dressurausbildung.  Es geht eben nicht um die mechanische Beurteilung der Ausführung von Lektionen. Es geht um die Beurteilung des ganzen Reiter-Pferd-Paares. Gezeigt werden müssen harmonische Bewegungsabläufe in Form von exakt gerittenen Dressurlektionen.

Ich habe oft den Eindruck, dass die Beurteilung der Anlehnung die große Baustelle ist. Da wird ein kurzer, aufgescheckter oder zu tief eingestellter Hals mit stramm anstehendem Zügel als gut angesehen. Dies hat aber ebenso wenig mit korrekter Anlehnung zu tun, wie ein weggeworfener Zügel. Die Anlehung mit einem korrekten Zug nach vorne bei langem Hals und offenem Genick, wird viel zu selten als Muss eingefordert.

Die Beurteilung hat immer entlang der Skala der Dressurausbildung zu erfolgen. Takt, Schwung, Losgelassenheit sind die Basis und dürfen nicht vernachlässigt werden.

Andrea Lipp / Foto: Sven Cramer


Über die Autorin:

Die klassische Reiterei ist die Passion von Andrea Lipp. Seit 2008 leitet sie im Bergischen Land bei Köln ihre Klassisch-Barocke Reitschule. Andrea Lipp ist Schülerin von Oberbereiter Andreas Hausberger, bei dem sie sich seit 2011 regelmäßig fortbildet. 

Mehr Informationen zu Andrea Lipp finden Sie hier: www.barock-reiten.de

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