Gebisslos zäumen

Gebisslos reiten, reiten ohne Trense

Seit ich 1990 in Luhmühlen Erwin Meroth an seinem Stand kennen gelernt habe, auf der Suche nach einer pferdefreundlichen Zäumung für den Vollblüter Seppi in Bremen, benutze ich selbst ganz selten überhaupt noch Trensen mit Gebiss.

Auch beim Fahren mit Kutschpony Linus. Seppi, der gern pullte und durchgehen wollte, war mit Gebiss nicht zu halten. Erwin Meroth zeigte mir seine Kombination mit Ledergebiss und Zügeln, alternativ dazu ein zweiter Zügel rein für den Nasenriemen. Vertrauensvoll erlaubte mir Seppis Eigentümerin, das bei ihrem Pferd zu testen: Kein Pullen, kein gegen die Hand gehen, kein Durchgehen, weniger ist mehr! Zwang erzeugt Druck, aber Kontrolle und absolute Sicherheit eben nicht.

Nach mehr als dreißig Jahre Erfahrung mit gebisslosen Zäumungen schreibt Redakteurin K. Bady:

Meine Stute Shirkhana (blutgeprägtes „Buschpferd“, geb. 1979) ignorierte bisher als einziges Pferd das merothische Reithalfter und stürmte mit mir beim Proberitt durch das Salzhausener Waldgebiet um die Bäume herum, was für ein Auftakt! M-Springpferd Grizou mit 1,78 Stockmaß ging im Gelände des CCI in Luhmühlen mit Ledergebiss und Zügeln, sensationell ohne Kopfstücke, das ist natürlich in Deutschland verboten, aber bei internationalen Prüfungen erlaubt (Susan Hutchinson in Göteborg/ Weltcupfinale). Damit waren Grizou und ich natürlich außer Konkurrenz am Start!

Der inzwischen verstorbene Erwin Meroth aus Köln hat sein Leben dem Kampf gegen selbst gebaute Gebisse gewidmet: „Die Sportreiter bauen in ihrer Schmiede Zäumungen, die verboten sind, weil sie die Pferde nicht mehr kontrollieren können, ohne diese Kombinationen“, lieferte er damals Futter für einen Artikel gegen die Sturheit der FN, die LPO und die APO zugunsten der Pferdemäuler zu ändern (Quelle: Parade 1995). Statt Pferde mit aller Sensibilität zu reiten und auf Vertrauen zu setzen, wird die Daumenschraube überdreht, bis nichts mehr geht? Die FN unterstützt das, durch Duldung, weil LPO/APO gebisslose Zäumungen nach wie vor nicht akzeptiert. Frei nach dem Motto Hermann Schriddes, einst Bundestrainer für junge Reiter*innen: immer sensiblere Pferde und immer unsensiblere Reiter, die überfordert sind, erzeugen scharfe Gebisse und doch ist eine harte Hand nicht die Lösung, sondern verursacht Schäden!

Die Grafik des Tierarztes und Philosophen Dr. Dr. Peter Schneider aus Hoya, für die Humanmedizin entwickelt, zeigt schon deutlich, dass Zähne ziehen beim Menschen extreme Auswirkungen auf die inneren Organe hat. Jeder Zahn ist demnach über die Meridiane mit einem Organ verbunden. Was leiden dann Pferde unter scharfen Gebissen und harten Händen erst? Zunge ab, Kieferbruch, Lefzen geklemmt, Schleimhäute gequetscht. Von Organschäden noch gar nicht zu reden.

Wunderschöner Kappzaum mit Lucie (Fotos: Christiane Mund, Bückeburg )

 

Der Selbsttest: Kutsche und Schlitten fahren mit Pony Linus geht besser ohne Blendkappen und ohne Fahrkandare, weil das Vertrauen die Basis ist, und nicht der Zwang, die Gewalt. Anfangs hatte ich als Groom hinter dem Kutscher noch eine Sicherheitslonge am Kappzaum, um zu jeder Zeit vom Bock oder vom Fahrgastraum neben Linus einwirken zu können, bei entsprechenden Situationen. Das hat Linus aber nur ein einziges Mal gebraucht: als wir unerwartet um eine Kurve kamen und in der Hecke ein betrunkener Mann lag! Linus stoppte abrupt und wartete brav, bis wir den Mann aufgesammelt hatten und ihn mit der Kutsche nach Hause fahren konnten. Wer kann ein durchgehendes Pferd nur halten mit Gebiss? Die anderen. Linus hat Vertrauen und wenn etwas kommt, das er nicht sehen und nicht einschätzen kann, dann bleibt er stehen und fragt uns, ob er davor Angst haben und wegrennen muss oder nicht. Ein ruhiger Kutscher und ein besonnener „Groom“ neben ihm, dann ist alles gut.

Um nicht in Gefahr zu geraten, nur ein einziges Produkt vorstellen zu wollen und damit nur PR für einen einzigen Hersteller zu machen, haben wir im Pferdebetrieb seit 1990 weitere gebisslose Zäumungen ausprobiert und die persönliche Einschätzung nach dem Testen für die gängigen Modelle aufgeschrieben. Hier eine kleine Auswahl des Angebots, inzwischen für den Freizeitsport entwickelt:

Das Glücksrad: Diverse Nachbauten unterscheiden sich nur minimal vom Original, das Monika Lehmenkühler einst entwickelt hatte. Die Kopien sind nicht unbedingt besser! Das Glücksrad kann in ungeübter Hand großen Schaden anrichten, je nachdem, wie die Zügel eingehakt werden! Für alles ist immer eins Voraussetzung: Die Benutzungen erfordern immer viel Hirn und leichte Hand.

Das Hackamore: Der Vorteil ist, dass die FN diese gebisslose Zäumung akzeptiert, sogar diverse eigene Schöpfungen und Kombinationen, die von der Elite der Sportreiter*innen entwickelt und heimlich im Hinterzimmer geschmiedet werden. Aber es bleibt Zwang und Gewalt, nur kommt der nicht im Maul an, sondern auf Nase und Genick des Pferdes. Das ist nicht viel besser als eine spanische Sereta! Während die Spanier dafür geächtet sind, sonnen sich die Kaderreiter im Ruhm.

Bitless Bridle: Kann man machen, muss es aber nicht. Ähnlich wie das Knotenhalfter, das die Amerikaner vermutlich ins Land gebracht haben, verrutscht das Material gern bei entsprechender Zügelführung, wenn es nicht fixiert ist, auch ins Auge, bei grober Handhabung. Dazu kommt bei beiden Zäumungen, dass Akupunkturpunkte am Pferdekopf empfindlich gestört werden, auch wenn einige nicht an Akupunktur glauben. Anbinden sollte niemand ein Pferd damit, nebenbei bemerkt. Die ganz persönliche Erfahrung mit Führstricken oder Fahrgeschirr aus diesem Stoff: Fell brennt regelrecht weg, wenn das Zeug heiß wird.

Die beste Variante für die Zusammenarbeit mit Pferden ist neben absolut passender Ausrüstung eben das grundsätzliche Vertrauen. Wer sein Pferd kennt und es gut einschätzen kann, hat keinerlei Probleme, auch eine Kutsche mit einem gebisslos gezäumten Pferd oder Pony zu fahren. Wenn es zu Unfällen kommt, wie kürzlich in Bayern, ist unbedingt eine Fehleranalyse nötig, denn diese Unfälle passieren mit Zäumungen und Gebissen! Leider bleiben solche Analysen meistens aus, denn auch Versicherungen fragen im Schadensfall nur oberflächlich danach.

Das beliebte Argument „Wie kann ich mein Pferd hindern, durchzugehen?“ und das Plädoyer, dass dies nur durch Gebiss im Maul möglich ist, zeigt eher die Angst vor Kontrollverlust des Menschen, die dazu führt, dass ich mir immer überlege, wie sensibel ein Pferdemaul ist und was Gebisse da anrichten können, und sei die Hand noch so sanft. Besser ist immer variabel zu sein und überlegt zu handeln: Beispiel das merothische Reithalfter, das zuerst auch mit Ledergebiss verschnallt werden kann, um ein Gefühl dafür zu entwickeln. Das ist nicht der von mir gewählte Favorit, meine Eigenerfahrung zeigt mir aber, dass ich ohne Gebiss ruhig einmal zufassen kann, ohne empfindliche Mäuler zu traktieren. Wenn ich gezwungen bin, mit einem Gebiss zu reiten, weil die FN das immer noch in unteren, nationalen Klassen verlangt auf Turnier, dann schalte ich sensibel um auf extrem feine Hand. Ist das nicht die Kunst des Reitens? Sensibilität und „Horses first“?

 

Ohne hartes Eisen im Pferdemaul ins im Gelände - Vertrauenssache! (Foto: Jörg Woost, Oldendorf)

 

Buchempfehlung: „Eisen im Pferdemaul“ von Dr. Robert Cook und Dr. Hiltrud Straßer


Über die Autorin:

Karola Bady

Pferde spielen eine wichtige Rolle im Leben der Redakteurin, die für die Schaumburger Zeitung, der DWZ in Hameln und Sport BILD gearbeitet hat.Seit der Jahrtausendwende ist Karola Bady Tierpsychologin für Pferde und bietet auf ihrem Hof in Oldendorf bei Himmelpforten, Kurse und Seminare rund um die Verhaltenskunde der Pferde an. Außerdem finden hier kranke und psychisch auffällige Pferde ein Team von Experten, die sich um das Wohlergehen der Vierbeiner kümmern.

Mehr Infos unter www.pferde-auf-die-couch.de

 

 

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